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Mom Guilt – Das ständige schlechte Gewissen

Meine Tochter ist jetzt zwei Monate alt und sie hat so unheimlich viel Liebe in unsere Familie gebracht. Mit ihr ist aber ein grässlicher, quälender Mitbewohner eingezogen, den ich weder eingeplant, noch eingeladen hatte: Das ständige schlechte Gewissen.

Meine Tochter ist gerade vier Wochen alt und wir sind zu Besuch bei meinen Eltern. Am Nachmittag kommen Nachbarn, die das Baby sehen wollen. Die erste Nachbarin nimmt Selenas* kleine Händchen in ihre, die Zweite tippt ihr auf die Nase und die Dritte gibt ihr sogar einen Kuss ins Gesicht, ehe ich reagieren kann. Da ist für mich Schluss, ich nehme mein Baby und verlasse den Raum.

Mein Mann findet mich im Wohnzimmer. Ich hasse es, mich so zu fühlen!, schluchze ich und mir laufen die Tränen über's Gesicht. Ständig bin ich wütend und habe ein schlechtes Gewissen!

Mom Guilt – das Gefühl, nicht gut genug zu sein

Das ständige schlechte Gewissen ist seit Selenas Geburt immer da, wie ein Schatten, der an mir klebt:

  • Sie hat ein tränendes Auge – schlechtes Gewissen, weil ich ihr vom Auto zum Haus kein Mützchen aufgezogen habe.
  • Ich lasse sie unter dem Spielebogen liegen, weil ich so müde bin – schlechtes Gewissen, denn ich müsste mich mit ihr beschäftigen.
  • Sie hat einen roten Windelpo – schlechtes Gewissen, weil ich nicht jede Stunde in ihre Windel geguckt habe.
  • ...

Die Liste ist endlos und ich finde mindestens 3x täglich etwas, das der Schatten mir ins Ohr flüstert. Dieser Schatten heißt „Mom Guilt", also übersetzt in etwa „Mutter Schuldgefühl". Die Cleveland Clinic beschreibt Mom Guilt folgendermaßen:

Als „Mom Guilt“ werden die Schuld- und Schamgefühle bezeichnet, die manche Menschen empfinden, wenn sie in ihrer Rolle als Eltern ihren eigenen Erwartungen oder denen anderer nicht gerecht werden. Es ist wie ein interner Dialog, der ihnen sagt, dass sie als Eltern versagen.

Cleveland Clinic

Das trifft meine Gefühle ganz gut und egal mit welchen Eltern ich spreche, alle kennen es.

Ganz typische Themen dabei sind:

  • Die Ernährung unserer Kinder
  • Zeit, die wir mit den Kindern verbringen
  • Wenn Kinder sich verletzen
  • Unsere Berufstätigkeit
  • Wenn wir nicht ruhig bleiben können
  • etc.

Woher kommt Mom Guilt ?

Wir wollen gute Eltern sein, wollen unsere Kinder beschützen und nur das Beste für sie – und darin scheitern wir. Doch was bedeutet denn „gute Eltern“? Und da liegt bereits der Hase im Pfeffer begraben.

Ob wir gute Eltern sind oder darin scheitern wird maßgeblich von Erwartungen an uns beeinflusst und von den Botschaften, die wir unser Leben lang vermittelt bekommen haben (sog. Glaubenssätze).

„Gute Eltern“ sind demnach Eltern, die

  • sich für die Kinder aufopfern und selbst zurückstecken
  • die alleinige Verantwortung dafür tragen, dass Ihre Kinder zu gesellschaftsfähigen Erwachsenen werden
  • zu jeder Zeit ruhig und liebevoll mit ihren Kindern umgehen
  • etc.

Diese Glaubenssätze stammen häufig aus unseren frühesten Erfahrungen und den Meinungen und Ansichten wichtiger Menschen in unserem Leben, unserer Eltern, unseres Partners etc. Wenn wir diesen Glaubenssätzen nicht gerecht werden, dann haben wir ein schlechtes Gewissen, weil wir glauben, dass wir „falsch“ sind. Das heißt, die Erwartungen, die an uns gestellt werden und wurden, entwickeln sich irgendwann zu unseren eigenen Ansprüchen an uns selbst. Vor allem Menschen, die bereits eine schlechte Meinung von sich haben, Perfektionisten oder Menschen, wie ich, die sehr sensibel sind, sind dafür besonders anfällig.

Was können wir gegen Mom Guilt tun?

Mein Mann wird so gut wie nie von einem schlechten Gewissen geplagt, wenn es um Selena geht. Während ich wie eine Sirene wehklage, wenn ihr Po mal wieder rot ist, zuckt er nur sie Achseln und rät mir entspannt zu bleiben. „Warum hast du eigentlich nie ein schlechtes Gewissen?“, habe ich ihn neulich gefragt. Er hat mich nachdenklich angesehen und schließlich erklärt: „Wenn etwas nicht so läuft, wie es soll, frage ich mich zuerst, ob ich das überhaupt in der Hand hatte und wenn ja, ob ich alles getan habe, um das Richtige zu tun. Wenn ich beides mit ja beantworten kann und es ist trotzdem schief gelaufen, dann ist es eben so.

In ihrem Buch Täglich grüßt das Schuldgefühl“ ergänzen Michèle Liussi und Katharina Spangler noch zwei Punkte:

  • Wie schlimm ist das Ergebnis?
  • Welche Ansprüche versuche ich gerade zu erfüllen?

Fragen gegen das schlechte Gewissen

  1. Verantwortung
  2. Ergebnis
  3. Ansprüche / Glaubenssätze

Verantwortung: Wenn mein Baby also am Morgen einen wunden Windelpo hat, hatte ich das dann in der Hand? Ja zum Teil, ich hätte jede Stunde in ihre Windel gucken können, statt alle 3 Stunden. Dafür hätte ich aber ihren Schlaf gestört und den finde ich sehr wichtig, damit sie die Eindrücke des Tages verarbeiten kann.

Wie schlimm ist das Ergebnis? Der Po ist rot und wund, aber meine Maus scheint das nicht zu stören, weder beschwert sie sich beim Wickeln, noch ist sie sonst quengelig. Für mich ist ihr wunder Po also offenbar schlimmer als für sie.

Welche Ansprüche versuche ich zu erfüllen? Da muss ich etwas länger überlegen, aber schließlich wird mir klar, dass es mein Bild einer „guten Mutter“ ist. In meinem Kopf hat deren Baby einfach nie einen wunden Po. Ist das realistisch? Nicht wirklich.

Eine absolute Buchempfehlung ist „Täglich grüßt das Schuldgefühl“ von Michèle Liussi und Katharina Spangler. Die beiden Autorinnen gehen in ihrem Buch auf typische Gründe für ein schlechtes Gewissen ein und geben dir Argumente und Tipps an die Hand, wie du es loswirst.

Was du noch tun kannst

Mir persönlich hat es immer geholfen, darüber zu sprechen. Mit Menschen, von denen ich wusste, dass sie mich nicht verurteilen. Es einfach mal wasserfallartig rauslassen, tut gut und ist gesund für unsere Psychohygiene. Oftmals stellt sich dann heraus, dass manche Vorkommnisse gar nicht so schlimm sind, wie sie sich anfühlen, wenn man damit alleine ist. Bei manchen Erlebnissen, war ich so erleichtert, als meine Freundinnen sagten: „Jap, genau das ist mir auch passiert“ oder „Das kommt vor, das hast du nicht in der Hand.“

Was ich dir außerdem in dein Überlebenskit packen möchte ist Selbstmitgefühl. Mom Guilt, unser grässlicher Mitbewohner, zieht wie oben erwähnt, dann ein, wenn wir bestimmte Ansprüche nicht erfüllen können. Er gibt uns das Gefühl, dass wir als Mensch verkehrt sind. Was würdest du deiner besten Freundin in so einer Situation sagen? „Du hast doch dein Bestes gegeben“ oder „Auch du darfst Fehler machen“. Oder nicht? Sei dir selbst deine beste Freundin und sei liebevoll mit dir.

Und mein letzter liebevoller Rat: Sag dem Bild einer „perfekten“ Mutter oder eines perfekten Vaters sayônara! Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Kinder brauchen Eltern die „gut genug“ sind. Wir erinnern uns nicht an die perfekt aufgeräumte Wohnung unserer Kindheit oder daran, dass wir mal ein tränendes Auge hatten. An was wir uns erinnern ist, wie unsere Eltern mit ihren Fehlern umgegangen sind und dass sie einfach da waren.

Mom Guilt, das ständige schlechte Gewissen, sucht uns also alle auf unterschiedliche Weisen heim, wie ein Schatten, der sich manchmal nicht abschütteln lässt. Das Tolle ist, wir sind nicht allein! Es geht jedem Elternteil so und und es ist okay, wenn wir uns Unterstützung suchen und mit lieben Menschen darüber sprechen.

Wir müssen verstehen, dass wir nicht immer alles unter Kontrolle haben können, und dass das Streben nach Perfektion oft unrealistisch ist. Es ist nicht das, was unsere Kinder wirklich brauchen. Was sie brauchen, sind Eltern, die ihr Bestes geben, die da sind und die sie lieben.

In diesem Sinne, sei liebevoll mit dir selbst und genieße die kostbaren Momente mit deinen Kindern, so wie du bist. Denn du bist genau die Mutter oder der Vater, den sie brauchen.

*Ich habe den Namen meiner Tochter geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen

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